Backgetreide im Futtertrog

Fahren die Schiffe eigentlich noch, die ukrainisches Getreide aus der Kriegsregion transportieren? Ist die akute Hungerkrise in den Ländern des Südens gestoppt? Welche Konsequenzen hatten die Erfahrungen mit Abhängigkeiten von Getreideexporten, die noch im Frühjahr auch die deutsche Öffentlichkeit bewegt hatten, für die hiesige Politik?

Anfang September berichtet agrarheute: „Nach Angaben der ukrainischen Regierung haben im Rahmen des unter UN-Schirmherrschaft ausgehandelten Abkommens über den sicheren Getreideexport seit Anfang August insgesamt 86 Schiffe mit rund 2 Mio. t Agrarerzeugnissen das Land verlassen.“ Die Hungerkrisen in vielen Ländern können diese Lieferungen aber allenfalls lindern, weil sie zwar die aktuelle Not bekämpfen, aber die strukturellen Versäumnisse nicht angegangen werden.

Auch in Deutschland wurden angesichts der russischen Blockaden ukrainischer Getreidehäfen schnell Diskussionen geführt, die sich mit den Unterstützungsmöglichkeiten im eigenen Land beschäftigten. Die einen wollten, vielleicht auch wegen der enorm gestiegenen Weizenpreise, mehr produzieren und haben es immerhin geschafft, die in der GAP vorgesehene Stilllegung und den vorgeschriebenen Fruchtwechsel zu kippen, auch wenn verschiedene Wissenschaftler vorrechneten, dass hierdurch mit keiner spürbaren Entlastung auf den Getreidemärkten, die zudem allenfalls 2023 erfolgen könnte, zu rechnen sei.

Andere, z. B. Greenpeace und Misereor, fordern, den Einsatz von Getreide und Ölsaaten zur Energieerzeugung, unter anderem für Biosprit, zu prüfen, und kritisieren: „Der Einsatz von Brotgetreide als Futtermittel zur Erzeugung von Fleisch für die reichen Länder ist gerade in der jetzigen Situation nicht akzeptabel und muss mit geeigneten Mitteln deutlich reduziert werden.“ Der Aufschrei in der Branche war groß. In Bayern rief gar ein Kreisobmann zum Spendenboykott auf. Auch der bayerische Bauernverbandspräsident Walter Heidel will diese Behauptung, 60 Prozent der Getreideernte würden in den Futtertrögen landen oder zur Biospritherstellung verwendet statt zur menschlichen Ernährung, so nicht stehen lassen. Das seien alles mindere Qualitäten, nicht zum menschlichen Verzehr geeignet.

Brot statt Futter

„Das wollen wir doch mal sehen!“, so könnte es auf den Greenpeace-Fluren zu hören gewesen sein. Ein „Rettungsbrot“ aus Futterweizen sollte entstehen. Um hierfür die richtige Getreidesorte zu finden, muss man sich allerdings etwas tiefer in die Sortentaxonomie begeben. In Deutschland werden die zum Anbau zugelassenen Sorten vom Bundessortenamt in unterschiedliche Qualitätsklassen eingeteilt: vom Eliteweizen (E) über den Qualitätsweizen (A) bis zum Backweizen (B). Unter dem Buchstaben C kommt dann der Futterweizen und einige Sorten, die für Kekse und zur Bierherstellung genutzt werden. Greenpeace hat also fünf Tonnen C-Weizen gekauft, in die Stelzenmühle von Hermann Güttler gefahren und dort zu Mehl mahlen lassen. Der Weizen, so der Müller, bedurfte keiner besonderen Behandlung. Nach einigen Wochen, die das Mehl zu „Reifung“ braucht, wurde es in der Bäckerei BeckaBeck auf der Schwäbischen Alb zu Brot verarbeitet: Vorteig über Nacht stehen lassen, Teig ansetzen, Wasseraufnahme auf das Mehl und damit den Weizen abstimmen, kneten, Brote formen und backen. Das Ergebnis überzeugt: luftige Brote aus Futterweizen. Wenn es darum ginge, Hunger zu lindern, könnte also auch der Futterweizen zur menschlichen Ernährung genutzt werden. Auf der anderen Seite würde dies, und das ist, woran sich Bauernverband und Agrarlobby stören, bedeuten, dass für die Tiere keine günstigen Futtermittel mehr zur Verfügung stünden.

Anbau von Qualitätssorten

Wirklich helfen würde es allerdings nicht, wenn man nur den C-Weizen zu Mehl verarbeiten würde, denn auf weniger als zehn Prozent der ca. 3 Mio. ha Weizenanbaufläche werden C-Sorten angebaut. Gut die Hälfte der Anbaufläche wird mit A-Sorten bestellt, gefolgt von ca. 30 Prozent B-Sorten und einem geringen Anteil E-Weizen. Was derzeit in deutschen Ställen verfüttert wird, ist also prinzipiell zu mehr fähig. Entscheidend ist hierbei der Proteinwert, unter 13 Prozent wird auch die E-Weizensorte zum Futtergetreide. Es ist davon auszugehen, dass die Bäuerinnen und Bauern bei ihrer Sortenwahl darauf abzielen, die Ernte dann auch hochpreisig als Backgetreide zu vermarkten. Ob das gelingt, hängt von der Nährstoffversorgung im Boden, der Temperatur und auch den Niederschlägen in der Vegetationszeit ab. Hohe Proteingehalte erfordern eine relativ späte Stickstoffdüngung. Kommt dann aber kein Regen mehr, können die Pflanzen die Nährstoffe nicht aufnehmen. Mehr noch, sie drohen nach der Ernte ausgewaschen zu werden und belasten dann Grund- und Oberflächengewässer.

In einer Stellungnahme für das Bundeslandwirtschaftsministerium stellt Anke Kähler von den Freien Bäckern fest: „Es gibt eine Reihe von Weizensorten am Markt, ob aus der biologischen oder konventionellen Züchtung, die mit Mehl-Proteingehalten von z. T. deutlich unter 13 Prozent Rohproteingehalt „sehr gute“ Backqualitäten (definiert mit ≥ 660 ml Volumen/100g Mehl) liefern.“ Es ist also dieser – auch im internationalen Getreidehandel zugrunde gelegte – Bewertungsmaßstab, der dafür sorgt, dass aus Backweizen Futterweizen wird. Dabei gibt es Vorreiter, die schon heute zeigen, dass es auch anders geht. Der Müller von der Stelzenmühle vergleicht das Angebot an Weizensorten mit dem der Weine. Das beste Mehl entsteht seiner Meinung nach durch die gezielte Mischung verschiedener Sorten aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften. Dafür braucht es aber eine differenziertere Erfassung als nur viel oder wenig Eiweiß. Vor allem die industriellen Bäckereien, so Bäckermeister Christian Böck von BeckaBeck, brauchen aber extrem standardisierte Mehle, weil sie nicht mehr auf individuelle Unterschiede, die durch handwerkliches Können ausgeglichen werden, reagieren können. Mittels regionaler Kreisläufe, Anbauplanung bis zur Sorte und handwerklicher Mühlen und Bäckereien könnte noch viel mehr Getreide für den menschlichen Verzehr genutzt werden.

Prof. Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim empfiehlt, gezielt mehr C-Weizen als Futterweizen anzubauen. Dieser hätte im Vergleich mit E-, A- und B-Weizen einen höheren Ertrag, der negativ mit dem Proteingehalt gekoppelt sei. Fünf bis zehn Prozent mehr sei so zu ernten und man könnte gleichzeitig die problematische Spätdüngung vermeiden. Wichtig ist ihm aber auch, dass es Veränderungen im Bewertungsmaßstab geben müsse. Das zumindest scheint derzeit im BMEL diskutiert zu werden.

Der Text wurde von Marcus Nürnberger verfasst und erschien in der Unabängigen Bauernstimme Ausgabe 11-2022 sowie online.


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